Es ist Nachmittag, es ist heiß, ich stehe mit meinem riesigen Rucksack an irgendeiner Weggabelung irgendwo in Frankreich und blicke von oben auf den See. Keine Ahnung welchen Weg ich wählen soll. Ich wollte mich von meiner Intuition treiben lassen, aber meine Intuition sagt gerade gar nichts. Also ziehe ich eine Münze aus meiner Hosentasche. Bei Kopf nach links, bei Zahl rechts. Die Münze landet auf meiner Hand und ich frage mich, warum ich eigentlich nicht weiß wo ich lang gehen soll. Aber eigentlich weiß ich es genau: ich will zurück. Zurück in ein behagliches, gemütliches, umsorgtes Leben mit frisch gebackenem Apfelkuchen unterm Kirschbaum. Also zurück in ein Leben, das ich nie hatte.
Zahl. Also links. Oder war es rechts? Ich drehe wieder um und gehe zurück zur Straße. Wieder zurück nach Taizé zu fahren wäre am einfachsten. Es ist Sonntag, ich könnte mich einfach wieder unter die ankommenden Massen mischen und wäre erstmal versorgt, könnte wieder jemanden kennenlernen, könnte wieder über Vertrauen, Glauben und Zuversicht reden und hätte Ruhe. Nur hatte ich mich heute morgen entschieden dort wieder weg zu fahren, weil ungefähr 1000 italienische Pfadfinder in der letzten Woche dafür gesorgt hatten, dass es rund um Taizé keinen einzigen ruhigen Ort mehr gab. Überall waren kleine italienische Grüppchen, die laut gesungen, gespielt oder einfach nur geredet hatten.
Unten an der Straße sehe ich einen Wegweiser auf dem “Abbaye d’Hautecombe” steht und folge dem Schild. Vielleicht ist es ein Zeichen. Ich denke an ein Kloster und promt ich sehe ein Schild zu einem anderen Kloster.
Ich halte meinen Daumen raus und das einzige Auto, was 10min später den Weg hochkommt hält zum Glück an. Ein älterer nicht sehr gesprächiger Mann, der auch zum Kloster will und mich durch den Wald mitnimmt. Während der Fahrt suche ich nach einem Platz für die Nacht, aber sehe nichts, wo ich mein Zelt aufstellen könnte. Links geht es steil bergab bis zum See und rechts ist eine Felswand. Und dann kann ich es sehen. Auf einem riesigen Felsen, der in den See rein ragt steht das leuchtende Gebäude mit seinen verzierten Türmen und einem blühenden Klostergarten, den ich mir als erstes ansehe, nachdem wir angekommen waren. Es ist genau die Ruhe, nach der ich mich in der letzten Woche gesehnt habe. Ich laufe durch die weite Wiese und setzte mich auf eine Bank am See und genieße den Sonnenuntergang.
Als es langsam spät wird gehe ich zur Klosterkirche und suche jemanden, den ich fragen kann, ob es ok ist, wenn ich hier für eine Nacht Zelte. Neben der Kirche gibt es einen kleinen Laden und ich finde zwei Mönche, die gerade im Gespräch sind. Als sie mich bemerken und fragen, ob sie mir helfen können, erzähle ich ihnen, dass ich seit ein paar Monaten durch Frankreich reise, mich sehr für Klöster interessiere, dieses Kloster hier sehr eindrucksvoll finde, gerne mehr darüber erfahren würde und frage, ob es möglich wäre, dass ich auf den Wiesen hier zelten könnte. Der jüngere der beiden lächelt mich verständnisvoll an und sagt: “Nein”. Immerhin verweist er noch auf einen Campingplatz etwas 10km weiter weg, der ganz nett sein soll.
Auf dem Weg nach draußen setzte ich mich noch kurz in die Kirche und versuchte weder wütend über die Ablehnung noch panisch vor dem dunklen Wald zu sein, durch den ich gleich noch 10km laufen werde. Beides funktioniert nicht und ich gehe einfach los.
Kurz vor dem Tor ruft mich eine ältere Frau, die gerade in ihr Auto steigen will und fragt, ob sie mich mitnehmen soll. Ich hab keine Ahnung, was ich sagen soll, also sage ich erstmal ja und steige ein. Sie fragt mich, wo ich hin will und ich frage sie, ob sie was weiß, wo ich zelten kann, aber sie ist nicht von hier. Also reden wir über was anderes.
Es ist dunkel und ich hab Angst, wie immer, wenn es dunkel wird und ich unruhig werde. Ein paar Minuten bitte die Fahrerin anzuhalten, weil ich gerade einen super Platz zum zelten gesehen habe. Also hält sie an, ich steige aus und als sie weiter fährt merke ich, dass es nicht stimmt. Rechts ist der Hang, links die Felswand. Und gehe ich weiter.
Innerlich verfluche ich das Kloster und frage mich, ob es nicht die Aufgabe eines Klosters sei Menschen zu helfen und ob es wirklich zu viel verlangt sei einen Reisenden zu beherbergen und sowieso haben die viel zu viel Geld und wissen doch gar nicht was es bedeutet so zu sein, wie ich. Und plötzlich höre ich Musik und sehe ein Licht. Ich gehe weiter und sehe ich eine Gruppe italienischer Pfadfinder, die vor ihrem Lager sitzen und singen und zu mir rüber winken.
Eine halbe Stunde und zwei Pappbecher Wein später lerne ich mein erstes italienisches Pfadfinderlied und als ich mich mit dem Gruppenleiter unterhalte, erzählt er mir, dass das Kloster ihnen erlaubt hat hier zu zelten und ich ruhig auch noch mein Zelt hier aufschlagen könne.
Am nächsten Morgen packe ich mein Zelt zusammen und fahre zurück nach Taizé.