Christian Wedel - Reiseblog

Riga – 25.Sep 2020

Etwas komisch ist das. Ich meine Riga ist toll und lebenswert, aber das kann dir hier jederzeit passieren und ich weiß noch nicht genau, wie ich das einordnen soll:
Du läufst so auf der Straße, siehst ein tolles Hipster-Café, merkst, dass du gerne einen Kaffee hättest und gehst rein und freust dich, weil alles so skandinavisch-industriell mit individuellem Touch eingerichtet ist und stellst dich an die Theke. Aber da ist keiner. „Macht nichts“, denkst du dir, „da kommt bestimmt gleich einer und fragt was ich haben will.“
Und dann siehst du schon, dass da eine gut gekleidete Barista mit schwarzem Barista-Outfit, kurzen blonden Haaren und einigen Tatoos um die Ecke kommt und übst schon heimlich im Kopf, wie du auf lettisch einen Kaffe bestellen kannst, weil du gehört hast, dass es hier sehr gerne gesehen wird, wenn du lettisch sprichst und dann geht sie einfach an dir vorbei. Ohne dich anzugucken. Sie setzt sich an einen Tisch, schlägt ein Buch auf und schreibt erstmal ein paar Zahlen auf. „Naja“, denkst du dir „das ist jetzt bestimmt sehr eilig und sie hat bestimmt gerade kompliziert gerechnet und muss sich Zahlen merken und die erstmal aufschreiben.“
Sie schreibt also und du stehst da und guckst dir nochmal die Speisekarte an („wow so viele vegane Sachen hier“, denkst du dir „aber ganz schön teuer“), wählst dich ins WiFi ein, überfliegst die letzten Artikel in „Die Zeit“, merkst, dass die Welt ein schrecklicher Ort ist und die Autoren der Zeit auch mal mehr Stil hatten, schreibst ein wütenden Kommentar zu einem blöden Artikel, löscht ihn dann aber doch wieder, weil du ja eigentlich dem Negativen keine Macht geben willst und dich lieber auf das Positive und die Liebe konzentrieren willst und zwischendurch versuchst du immer mal wieder Augenkontakt mit der Barista herzustellen, weil du dir langsam auch nicht ganz sicher bist, ob sie überhaupt weiß, dass du da bist. Dann hustest du mal kurz. Hilft aber auch nicht. Du hustest nochmal, etwas lauter (in die Armbeuge, nicht in die Hand). Dann lässt du es aber auch sein, weil du nicht so recht weißt, ob das heutzutage noch so gemacht wird, dass du dich räusperst, wenn du Aufmerksamkeit haben willst. Ich meine, mit Corona hat sich ja so einiges geändert und eine Maske hast du auch gerade nicht an, weil du die vergessen hast und es hier aber auch nie auffällt, weil hier in Lettland keiner eine Maske trägt und es ja auch kaum Fälle gibt. Und plötzlich steht sie vor dir und sagt irgendwas, was wie „Dobre!“ klingt. Du erschreckst dich, tausend Gedanken komm dir gleichzeitig in den Kopf, „Wo kommt die denn her?“, „Dobre ist doch polnisch? Sagen die hier nicht eigentlich Labdiem oder so?“, „was wollte ich eigentlich nochmal?“, „Soll ich jetzt noch so ein Energiebällchen nehmen oder nicht?“, „ach ja Kaffee…“ und du stammelst irgendwas von „I, ähh, take, ähh, would like to have, ähh, ähhn americano, please, ähh paldies!?“, fässt dir dabei nervös an den Schnurrbart und versuchst mitleidig zu lächeln. Und die Barista verzieht keine Miene und sagt nur „Please sit down. I will brink it!“.

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