Christian Wedel

Hier findest du Reisebreichte. Aber nicht die Art von Reisebericht, die dir sagt, was du wo wie kaufen und buchen und essen kannst, sondern die Art von Bericht, die erzählt, wie es ist an einem anderen Ort zu sein. Weit, weit weg.

Denn was viele nicht wissen oder oft auch gar nicht merken, wenn sie reisen ist, dass sie sich selbst jedes mal ändern, wenn sie woanders sind. Wie einen Schalter, den du umlegst, ändert sich dein gesamtes Wesen und du bist eine komplett andere Person wenn du einen Ort verlässt und an einen anderen Ort gehst. Ich meine es nicht metaphorisch. Metaphern bringen hier gar nichts. Ich meine es genauso wie es ist. Du bist ein anderer Mensch, wenn du woanders hin gehst.

Ich meine, manche sagen ja immer, dass man nicht reisen muss und sagen, dass es auch geht, wenn man einfach in sich selbst reist. Das Innere sei schließlich riesig und es gibt dort genauso viel zu erforschen wie woanders. Das ist auch richtig und ich will natürlich nicht sagen, dass jemand er viel reist irgendwie besser ist als jemand, der nicht viel reist. Überhaupt nicht. Ich möchte viel mehr sagen, dass es schlicht nicht stimmt. Dein Inneres ist, wie auch der Rest deines Wesens immer an den Ort gebunden, der dich umgibt. Deshalb hast du an einem Ort Zugriff auf ein anderes Inneres als an einem anderen Ort. Dinge, die du hier finden kannst, kannst du nur hier finden und nicht auf einem magischen Götterhein in Lettland oder in einem heruntergekommenen Subway in Seoul oder wo auch immer. Der Ort ist immer mit der Verbunden.

Über mich

Christian Wedel

Das auf dem Foto bin ich. Christian, irgendwann in den 80ern in einer Kleinstadt in Brandenburg mit großer Sehnsucht nach fernen Ländern geboren. Seit es Computer gibt, habe ich programmiert und mache das auch heute Hauptberuflich. Zwischen durch hatte ich sehr viel Zeit mit Kunst verbracht, Philosophie und Indologie studiert und bin Vater geworden. Meine Kinder sind jetzt 10 und 13 und seit 9 Jahren leben wir als Digitale Nomaden Familie. Zusammen mit Johanna, meiner Partnerin habe ich ein Unternehmen gegründet und wir arbeiten als Webdesigner und Entwickler.

Das alles macht mich sehr glücklich, aber eigentlich wollte ich auch schon immer mehr schreiben, was wenn man Kinder hat und arbeitet, schwer nebenbei zu machen ist, man muss schließlich Prioritäten setzen, aber dieser Blog soll zumindest ein kleiner Anfang sein.

Kategorie

Reisenotizen

Kurze aktuelle Notizen. Wie Tagebuch, nur ohne den Privaten Teil.

Kategorie

Kurzgeschichten

Kurze Erzählungen. Mal traurig, mal lustig, mal irgendwas dazwischen.

Neuste Notizen

11. Mai 2025

Die Kassiererin hat meine Chips gestreichelt

Die Kassiererin hat meine Chips gestreichelt.
Das ist mir noch nie passiert. So viele Orte auf der Welt habe ich besucht, aber nie in meinem Leben hat jemand meine Chipstüte an der Kasse gestreichelt. Nur hier in Frankreich.
Ich meine, es klingt jetzt komisch und es ist mir auch fast peinlich darüber zu schreiben, sowas passiert einem ja oft sehr unvorbereitet und man weiß nicht genau wie man reagieren soll, aber ich muss darüber schreiben, weil es wichtig ist.
Um erstmal faktisch zu bleiben. Es war wie folgt: Ich stehe an der Kasse und überlege, ob ich den Warentrenner nur vor meine Ware legen muss oder ob es auch erwartet wird ihn hinter meine Ware zu legen, darüber denke ich immer nach, wenn ich an der Kasse stehe und plötzlich, als die Kassiererin meine Chips vor sich sieht, streichelt sie diese und sagt mir, dass das die Beste Sorte ist und sie diese Chips liebt. Die Ziegenkäse-Chilli Chips.
Ich wusste nicht wie ich reagieren sollte, schließlich ist der Chips Konsum etwas sehr privates, wie ich finde. Chips zu essen gehört nicht wirklich zum guten Ton, man macht es eher heimlich oder unter dem Deckmantel eines Partysnacks, aber selbst auf einer Party wäre es unangemessen die Chips zu streicheln und von Liebe zu sprechen, während man sie genüsslich laut knackend zwischen den Zähnen zerknirscht. Man redet nicht darüber.
Intuitiv sagte ich mit meinem schlechten französisch „Äh… Moi aussi“. Was nicht stimmte, weil ich diese Chips noch nie vorher gegessen hatte und es einfach nur verrückt fand, dass eine Kultur so besessen von diesem krassen super alten Ziegenkäse sein kann, dass sogar eigens dafür eine eigene Chipssorte erfunden wurde und dachte, als ich vor dem Regal stand, dass wenn ich die französische Kultur wirklich in all ihren Facetten verstehen will, ich diese Dinger essen muss. Koste es was es wolle, die muss ich probieren, habe ich gedacht. Es ging nicht nur um die Lust auf einen Snack, sondern um meine persönliche Pflicht der französischen Kultur gegenüber. Was es noch viel unangenehmer machte, darauf angesprochen zu werden.
Nachdem ich „Moi aussi“ gestottert hatte, lächelte ich verlegen, fühlte mich als wäre ich ein Kind, was einen anstößlichen Witz gehört hatte, fügte noch „Merci“ hinzu und lenkte schnell meiner aufsteigeneden Gesichtsöte ab und fragte nach einem USB-C Verlängerungskabel. Sie zeigte mir, immer noch freundlich, aber leicht verstört von meiner Reaktion den Weg zum Regal mit den USB Kabeln und ich lief weg. 10min später kam ich wieder, die Schlange an der Kasse war mittlerweile ganz schon lang, wir redeten nicht mehr darüber, sie fragte nur knapp, ob ich mit Karte zahlen will, ich sagte Ja, packte schnell meine Sachen ein, versuchte aber den Eindruck ungebrochener Gelassenheit zu wahren und als ich alles eingepackt hatte zischte ich ab. Ich gehe da nie wieder hin, dachte ich.
Im Nachhinein denke ich, dass ich eventuell überreagiert habe. In Deutschland werden Chips einfach nur in Masse hergestellt und dem einfachen Mann vor die Füße geworfen. Er soll sie nicht essen und nicht dick werden, aber er soll sie auch nicht nicht essen und sie doch essen und doch dick werden. Aber in jedem Fall nicht darüber reden. Hier in Frankreich ist es anders. Das Land der Haute Cuisine, wo Essen nicht einfach nur ein Genussmittel ist, sondern ein Teil der Würde des Menschen. Und das habe ich auch erst richtig verstanden, als ich von diesen Chips probiert hatte. So ein krasser Ziegenkäsegeschmack, dass ich ihn noch heute, einen Tag später, im Mund habe. Definitiv nichts, was man jeden Tag essen sollte, erst recht nicht, wenn man einige Tage später eine Verabredung hat, aber jetzt, nachdem ich sie probiert habe und verstanden habe, was sie meinte, werde ich doch nochmal in diesen Supermarkt gehen, die Kassiererin suchen und ihr ganz aufrichtig sagen, dass sie absolut recht hatte! „Moi aussi. Moi aussi!“, werde ich ihr in meinem leidenschaftlichsten französisch sagen, ich suche die richtigen Wörter vorher nochmal raus und werde ihr dabei ganz tief in die Augen schauen!
Dann wird diese peinliche Situation von gestern sicherlich aus der Welt geschaffen sein.

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14. November 2023

Extremsituation in Schweden

Ich muss gestehen, die letzten Wochen waren nicht leicht für mich. Etwas grundsätzliches hat sich in meinem Alltag verändert und es liegt hauptsächlich an den äußeren Umständen, nicht an mir. Wie alle meine Probleme. Naja nicht alle. Manchmal liegt es daran, dass ich zu nett bin oder zu klug oder nicht rechtzeitig gesehen habe, dass sich alle gegen mich verbünden… (* Manchmal übertreibe ich bewusst und sage Dinge, die ich genau andersherum meine, um Dinge humorvoll anzusprechen, die auf eine charakterliche Ambivalenz verweisen, die wir, wenn wir ganz ganz ehrlich sind, alle in uns tragen, aber selten zu denken wagen, weil wir tragischer Weise gelernt haben uns selbst als unfehlbar zu definieren und uns deshalb viel zu oft selbst im Weg stehen, um perfekte Beziehungen aufzubauen und zu halten.)

Sechs Wochen sind wir jetzt schon in Schweden und ich habe nur einen einzigen Coffee to go gekauft und unterwegs getrunken. Damit ist mein Outdoor Kaffeekonsum pro Woche um etwa 3 Liter gesunken. Hauptsächlich liegt es an der desaströsen Coffee to go Infrastruktur in unserem Ort. Die meisten Cafés haben geschlossen, keine Kaffeeautomaten am Strand und es gibt nur ein sporadisch geöffnetes Hipster-Café mit Pumpkin-Spice-Vanilla-Cinnamon-Latte-Machiato für 6EUR pro enttäuschendem Schluck. Diesen ganzen extravaganten Firlefanz braucht ja keiner. Mir reicht ein ganz normalen Americano. Also natürlich keinen Filterkaffee, sondern einen ganz einfachen doppelten Espresso mit etwas Wasser aufgegossen. Aus einer normalen Siebtragermaschine. 1/3 Espresso und 2/3 heißes Wasser. Genau 93.0 Grad. Ganz normaler Bio und Fairtrade Espresso, wie immer 100% Arabica, nicht zu fruchtig, aber auch nicht zu mild, voller Körper und wenn möglich so ein ganz leichtes natürliches Vanille Aroma. Vielleicht aus Peru oder Mexiko. Mexikanischer Maragogype wäre super, der ist nicht zu sauer, aber trotzdem fruchtig (Das sind diese besonders großen Bohnen), muss aber nicht sein. Hauptsache nicht länger als 14 Tage nach der Röstung gelagert oder besser ganz frisch geröstet und sowieso direkt vorher gemahlen. Dann ab in den Pappbecher, Plastikdeckel oben drauf und los gehts. Eben einen ganz normalen Coffee to go. Ohne Firlefanz.

Übrigens, falls hier Freunde, Verwandte, richtig gute Geschäftspartner oder sonstige potentielle Geschenkgeber mitlesen, wäre 1kg jamaikanischer Blue Mountain Espresso oder ein vergleichbarer Kaffee ein super Weihnachtsgeschenk. Nur lieber nicht wieder Black Ivory. Ich meine, es ist ja nett gemeint gewesen und ich weiß, dass der teuer war und so, aber jedesmal, wenn ich meinen Gästen einen Black Ivory Kaffee anbiete und das Wort “Elefantenkacke” fällt, trinken plötzlich alle lieber Tee, weil der angeblich gesünder ist. Naja und ich selbst wähle dann doch auch lieber die unverdaute Kaffeesorte. Jetzt stehen da 10kg von dem Zeug in meinem Keller. Einen Kleinwagen hätte man davon kaufen können, aber das Zeug jetzt auf eBay zu verkaufen ist ja auch irgendwie unhöflich. War ja ein Geschenk. Einmal hatte ich versucht einen Kopi Luwak aus dem Black Ivory zu machen und meiner Katze ein paar Bohnen angeboten. Danach war sie total aufgedreht und hat innerhalb von 2h 14 Mäuse und 5 Vögel angeschleppt. Irgendwie hatte ich dann auch wieder vergessen den Katzenkaffee zu ernten. Der liegt jetzt wahrscheinlich irgendwo im Sandkasten der Nachbarn. Die werden die sich freuen, wenn die das finden. Ist ja pures Gold wert.

Jedenfalls bin ich schon 6 Wochen an einem Ort an dem es keinen vernünftigen Coffee to go gibt und ich würde ja gerne sagen, dass es mir nichts ausmacht und ich nicht so an materiellen Dingen hänge und die Natur ist auch so wunderbar und hauptsache gesund und hauptsache Arbeit (das haben früher immer alle gesagt, habe ich aber nie verstanden), aber es ist verdammt hart und ich denke ständig dran. Komme aber damit klar.

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10. Februar 2021

no money, no problem

Als ich heute auf dem Weg zum Supermarkt war, stand plötzlich ein älterer Mann vor mir und hat mich irgendwas auf lettisch gefragt. Ich sagte, dass ich nichts verstehe und fragte, ob er englisch kann. Dann zeigte er mit seinem Finger auf sein Handgelenk. Ah, die Uhrzeit. Ich zeigte ihm meine Uhr. Dann zeigte er auf einen kleinen Laden und fragte: „can you buy me milk and bread?“ und hielt mir seine Faust zum Fistbump hin. Die Knöchel hatte er mit irgendwelchen Runen tätowiert. Ich sagte „yes“ und machte auch das mit der Faust. So cool wie möglich.
Er nahm mich mit in den Laden, nahm sich einen Korb und ging zur Milch. Er zeigte auf die Packung und guckte mich fragend an. Ich nickte. Er ging weiter und zeigte nach und nach auf Kefir, Brot, Butter und eine Torte. Ich nickte. Er zeigte auf noch eine Torte. Ich nickte. Er zeigte auf noch eine Torte. Wieder nickte ich. Auf dem Weg zur Kasse packte er sich noch zwei Tafeln Schokolade ein.
Als wir an der Kasse standen, musste ich plötzlich an meinen Vater denken. Genauso würde er auch einkaufen. Also ging ich kurz zum Obst und legte ihm noch ein Netz Mandarinen in den Korb. Er nickte.
Nachdem ich bezahlt habe, begleitete ich ihn noch nach draußen und er meinte zu mir: „do you see: No money is no problem“. Ich nickte.

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5. Januar 2021

Come back home

Letzte Nacht stand ich vor der Kirche in Taizé. In meinem Traum war es warm, die Stockrosen blühten und alles war übertrieben gelb. Als ob jemand diesen gelben Fotofilter über alles gelegt hat, der dafür sorgen soll, dass langweilige Bilder irgendwie sommerlich aussehen.
Gerade stand ich vor dem Grab von Frere Roger als plötzlich aus den Lautsprechern der Kirche ein fröhlicher Folksong kam. Der Text bestand nur aus einer Zeile und diese wiederholte sich ständig: „Come back home. Come back home. Come back baby, come back.“
Komisch, dass mir diese großen Lautsprecher direkt über dem Eingang der Kirche nie aufgefallen waren. Irgendwie passen diese riesigen Bahnhofslautsprecher nicht zu dem südfranzösischen Charme dieser romanischen Mauern. Come back home.
Dann bin ich aufgewacht und habe kurz überlegt, ob das eine Eingebung war und mich gefragt, ob Gott, wenn es wirklich wichtig wäre, mir mir Englisch sprechen würde. Dieser Hellseher, den ich mal in Santiago de Composetlla traf, hat mir auch sowas gesagt. Als er mir erzählt hatte, wie er einmal auf der Ladefläche eines LKW nach Mexiko gefahren ist, sich plötzlich die Tür öffnete und drei bewaffnete Mexikaner mit einem Hund vor ihm standen und er schnell noch eine Tarot Karte aus seiner Brusttasche gezogen hat und das die Karte mit den drei Höllenhunden war und er genau wusste, dass es jetzt vorbei sein würde und sich dann aber an nichts weiter erinnerte, außer, dass er eine Eingebung hatte und kurz darauf in einem deutschen Krankenhaus aufgewacht ist. Ausgerechnet, da wollte überhaupt nicht hin. Nach Deutschland. „Gott sprach mit mir auf Englisch“, hat er dann gesagt. Eigentlich hatte er gehört, dass Gott sich in entscheidenden Momenten immer in der Muttersprache an einen wende, aber so war es wohl nicht. Ich weiß gar nicht mehr, was genau Gott ihm gesagt hat. Komisch, die Story selbst war so verrückt, dass ich mich nicht mehr an Pointe erinnern kann.
Come back home. Noch eine ganze Weile musste ich daran denken, was das wohl zu bedeuten hat oder ob das überhaupt irgendwas bedeutet. Soll ich zurück nach Taizé? Oder soll ich meinen Glauben wiederfinden? Und was hat das Grab zu bedeuten?

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24. September 2020

Riga – 25.Sep 2020

Etwas komisch ist das. Ich meine Riga ist toll und lebenswert, aber das kann dir hier jederzeit passieren und ich weiß noch nicht genau, wie ich das einordnen soll:
Du läufst so auf der Straße, siehst ein tolles Hipster-Café, merkst, dass du gerne einen Kaffee hättest und gehst rein und freust dich, weil alles so skandinavisch-industriell mit individuellem Touch eingerichtet ist und stellst dich an die Theke. Aber da ist keiner. „Macht nichts“, denkst du dir, „da kommt bestimmt gleich einer und fragt was ich haben will.“
Und dann siehst du schon, dass da eine gut gekleidete Barista mit schwarzem Barista-Outfit, kurzen blonden Haaren und einigen Tatoos um die Ecke kommt und übst schon heimlich im Kopf, wie du auf lettisch einen Kaffe bestellen kannst, weil du gehört hast, dass es hier sehr gerne gesehen wird, wenn du lettisch sprichst und dann geht sie einfach an dir vorbei. Ohne dich anzugucken. Sie setzt sich an einen Tisch, schlägt ein Buch auf und schreibt erstmal ein paar Zahlen auf. „Naja“, denkst du dir „das ist jetzt bestimmt sehr eilig und sie hat bestimmt gerade kompliziert gerechnet und muss sich Zahlen merken und die erstmal aufschreiben.“
Sie schreibt also und du stehst da und guckst dir nochmal die Speisekarte an („wow so viele vegane Sachen hier“, denkst du dir „aber ganz schön teuer“), wählst dich ins WiFi ein, überfliegst die letzten Artikel in „Die Zeit“, merkst, dass die Welt ein schrecklicher Ort ist und die Autoren der Zeit auch mal mehr Stil hatten, schreibst ein wütenden Kommentar zu einem blöden Artikel, löscht ihn dann aber doch wieder, weil du ja eigentlich dem Negativen keine Macht geben willst und dich lieber auf das Positive und die Liebe konzentrieren willst und zwischendurch versuchst du immer mal wieder Augenkontakt mit der Barista herzustellen, weil du dir langsam auch nicht ganz sicher bist, ob sie überhaupt weiß, dass du da bist. Dann hustest du mal kurz. Hilft aber auch nicht. Du hustest nochmal, etwas lauter (in die Armbeuge, nicht in die Hand). Dann lässt du es aber auch sein, weil du nicht so recht weißt, ob das heutzutage noch so gemacht wird, dass du dich räusperst, wenn du Aufmerksamkeit haben willst. Ich meine, mit Corona hat sich ja so einiges geändert und eine Maske hast du auch gerade nicht an, weil du die vergessen hast und es hier aber auch nie auffällt, weil hier in Lettland keiner eine Maske trägt und es ja auch kaum Fälle gibt. Und plötzlich steht sie vor dir und sagt irgendwas, was wie „Dobre!“ klingt. Du erschreckst dich, tausend Gedanken komm dir gleichzeitig in den Kopf, „Wo kommt die denn her?“, „Dobre ist doch polnisch? Sagen die hier nicht eigentlich Labdiem oder so?“, „was wollte ich eigentlich nochmal?“, „Soll ich jetzt noch so ein Energiebällchen nehmen oder nicht?“, „ach ja Kaffee…“ und du stammelst irgendwas von „I, ähh, take, ähh, would like to have, ähh, ähhn americano, please, ähh paldies!?“, fässt dir dabei nervös an den Schnurrbart und versuchst mitleidig zu lächeln. Und die Barista verzieht keine Miene und sagt nur „Please sit down. I will brink it!“.

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28. Juli 2020

CoWorking

Erst im Coworking Space Bansko merke ich, wie normal ich eigentlich bin.
Gestern nämlich hab ich auf Facebook eine Werbung gesehen für so ein Ding, das aussieht wie eine Matte, das man sich unter das Macbook kleben kann und dann kann man das so hoch machen und dann steht das Macbook schief. Das ist gesünder hat die Werbung gesagt und außerdem aus sehr gutem Material und perfekt zum Reisen (woher wissen die nur, dass ich viel reise und Wert auf gutes Material lege? 🤔).
Ich war schon kurz davor das zu bestellen, aber dann hat diese antimaterialistische Stimme in meinem Kopf – merkwürdigerweise klingt die wie die Synkronstimme von Robert de Niro, ich glaube der heißt Christian Brückner oder so – gesagt, dass ich nicht jeden Mist kaufen soll und mich dieses Ding auch nicht glücklicher machen wird. Hab ich dann auch nicht gemacht, aber irgendwie hat es mich weiter beschäftigt…
Und heute, plötzlich, als ich in den Coworking Space gegangen bin hab ich direkt jemanden gesehen, der genau diese Matte unter sein MacBook geklebt hatte. Und da wusste ich, dass ich nicht allein bin auf dieser Welt. Ich hab etwas überlegt, ob ich ihn darauf ansprechen soll und fragen soll, ob er sich damit besser und gesünder fühlt, aber hab es dann doch nicht gemacht. Wieder wegen der Stimme.
Jedenfalls ist es das erste Mal, dass ich im Coworking Space arbeite, seitdem wir reisen und irgendwie merke ich langsam, dass es irgendwie nett ist mit anderen Menschen aus der gleichen Werbe-Zielgruppe zusammen zu arbeiten. Mal gucken wie das erst ist, wenn diese Macbook-Matte ankommt, die ich mir gerade bestellt habe…

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